Gesundheit als gesamtgesellschaftliches Ziel ist nur durch einen Paradigmenwechsel zu erreichen – von der Krankheitsbekämpfung zu Gesundheitsförderung. Davon ist Prof. Dr. rer. nat. Susanne Moebus, Leiterin des Instituts für Urban Public Health, schon lange überzeugt. Die Stärkung von Ressourcen und Potenzialen für ein gesundes Leben in Städten, eine Verankerung von Gesundheitsförderung durch sektorübergreifende Stadtplanung und -entwicklung sowie eine Förderung der Gesundheitskompetenz der Stadtbevölkerung spielen entscheidende Rollen, um gesamtgesellschaftlich die Lebensqualität zu verbessern und das Gesundheitssystem zu entlasten.
Institut für Urban Public Health
Vor diesem Hintergrund hat die Universitätsmedizin Essen im Mai 2020 als Weiterführung des bereits etablierten Zentrums für Urbane Epidemiologie ein neues Institut für Urban Public Health (InUPH) als wissenschaftliche Einrichtung eröffnet.
„Wir forschen hier inter- und transdisziplinär“, erläutert Susanne Moebus. In Ihrem Team arbeiten Geografen, Soziologen, Stadtplaner und Architekten ebenso wie Psychologen und Politikwissenschaftler. Ende 2022 kann das Institut in Fortschreibung der Aktivitäten der Vorgängerinstitution eine Reihe von Forschungsvorhaben und Projekten vorweisen.
SALVE und SALVE+
In den Projekten SALVE und SALVE+ erforschen interdisziplinäre Teams der Universitätsmedizin und der Uni Duisburg-Essen sowie der Technischen Universität Dortmund städtische Klanglandschaften am Beispiel der Stadt Bochum.
Be-MoVe
Im Rahmen von Be-MoVe befasst sich das Institut für Urban Public Health (InUPH) mit der Wahrnehmung der akustischen Qualität in Stadträumen. Wie nehmen Menschen Geräusche und Lautstärken in Bezug zu ihrer Umgebung wahr? Wie bewerten sie diese je nach Geräuschquelle und wie wird die Aufenthaltsqualität dadurch beeinflusst?
CLEVER Cities
Das von der EU geförderte Projekt CLEVER Cities will eine neue Art von naturbasierten Lösungen für die anstehenden urbanen Transformationen für nachhaltige und sozial integrative Städte in Europa, Lateinamerika und China vorantreiben.
KI-LiveS
Mit dem KI-Labor für verteilte und eingebettete Systeme (KI-LiveS) sollen innovative Ansätze entwickelt werden, um „Künstliche Intelligenz (KI)“ in Deutschland voranzubringen. Das InUPH beleuchtet gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Transport und -logistik, dem Institut für Produktion und Industrielles Informationsmanagement, dem Lehrstuhl für verteilte Systeme, dem Lehrstuhl für Eingebettete Systeme der Informatik der Universität Duisburg-Essen sowie dem Lehrstuhl für Computergraphik der TU Dortmund unterschiedlichste Aspekte zu diesem Themenkomplex.
Heinz Nixdorf Recall Studie und Heinz Nixdorf Recall MehrGenerationenStudie
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind eine der häufigsten Todesursachen in Industrienationen. Die Heinz Nixdorf Recall (HNR) Studie ist eine bevölkerungsbasierte, prospektive Kohortenstudie, die seit 2000 im Ruhrgebiet durchgeführt wird. Die Langzeitstudie hat zahlreiche neue Erkenntnisse zu chronischen Erkrankungen erbracht und unter anderem nachgewiesen, dass mit Hilfe von bildgebenden Verfahren die Vorhersage einer Herzinfarktgefährdung verbessert werden kann. Die MehrGenerationenStudie (MGS) ist eine Ergänzung der HNR-Studie, indem hier auch die Kinder und die Partner:innen der HNR-Studienteilnehmenden untersucht werden. Forschungsfragen beziehen sich auf die genetische und soziale Vererbung der Risikofaktoren und das Ausmaß koronarer und anderer Gefäßerkrankungen sowie auf epigenetische Faktoren, Umwelteinflüsse und/oder psychosoziale Faktoren, die auf die Entwicklung dieser Krankheiten Einfluss nehmen können.
1.000 Gehirne
In Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum Jülich werden im Rahmen der 1.000-Gehirne-Studie umfangreiche Untersuchungen zu Struktur und Funktion des Gehirns an 1.000 Probanden durchgeführt, um das Zusammenspiel verschiedener Gehirnregionen und deren mögliche Veränderungen im normalen Alterungsprozess sowie umweltbezogenen und psychosozialen Faktoren zu verstehen.
NAKO Gesundheitsstudie
Die NAKO Gesundheitsstudie (kurz: NAKO) ist eine Langzeit-Bevölkerungsstudie (Dauer 20-30 Jahre). Sie wird von einem Netzwerk deutscher Forschungseinrichtungen, bestehend aus der Helmholtz-Gemeinschaft, Universitäten und der Leibniz-Gemeinschaft, organisiert und durchgeführt. Ziel ist es, den Ursachen für die Entstehung von Volkskrankheiten, wie beispielsweise Krebs, Diabetes, Infektionskrankheiten und Herzinfarkt auf den Grund zu gehen.
Das Institut für Urban Public Health (InUPH) an der Universität Essen ist noch europaweit die erste Forschungseinrichtung, die auf die positiven, die gesundheitserhaltenden Faktoren urbaner Systeme fokussiert. Bald wird eine Forschungseinrichtung in Basel mit ähnlichem Ansatz folgen.
„Wir analysieren nicht nur, welche Risikofaktoren in Städten die Gesundheit beeinträchtigen und wie diese Faktoren reduziert werden können, wir lenken unser Augenmerk auf solche Faktoren, die Entstehung und Erhaltung von Gesundheit ermöglichen und unterstützen“, erläutert Susanne Moebus. Das können räumliche, politische, soziale und ökologische Merkmale einer Stadt sein, die jeweils individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen werden.
Enge Kooperation mit dem Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin (IKIM)
Um ein möglichst detailliertes und komplexes Forschungsszenario zu erhalten, ist die Kooperation mit der KI-Medizin von großer Bedeutung. Das Institut für Urban Public Health (InUPH) arbeitet eng mit dem ebenfalls noch jungen Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin (IKIM) unter Leitung von Prof. Dr. Folker Meyer an der Universitätsmedizin Essen zusammen. Die Zusammenarbeit konzentriert sich auf die effiziente, reproduzierbare und nachhaltige Datenwissenschaft und Mikrobiom-Analyse.
Das Zusammenspiel der Institute spielte auch bei einem weiteren Forschungsansatz, dem Abwasser-Screening oder auch der abwasserbasierten Surveillance, eine entscheidende Rolle. Denn aus dem Abwasser einer Stadt oder Region könnten in Zukunft die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Menge herauslesen, das Aussagen über den allgemeinen Gesundheitsstatus der Menschen erlaubt und auch als Basis für bevölkerungsbezogene Gesundheitsmaßnahmen dienen kann: Antibiotika-Konzentrationen, Pestizid-Belastungen, aber auch Rückstände, die durch Rauchen oder fett- und zuckerhaltige Ernährung ins Abwasser gelangen. Und natürlich Bakterien und Viren. So gelangt auch SARS-CoV-2 über Ausscheidungen ins Abwasser und kann dort mittels molekularbiologischer Methoden nachgewiesen werden.
Kaltstart zur Pandemie
Während der Pandemie startete das Urban Public Health (InUPH) deshalb mit einer systematischen Überwachung von SARS-CoV-2 im Abwasser und stützte so Forschungsvorhaben, die sich zum Ziel gesetzt haben, in Zukunft über Surveillancesysteme Rückschlüsse zum Trend von Infektionsdynamiken ziehen zu können. Susanne Moebus: „Das Infektionsgeschehen wird uns ja noch weiter begleiten, andere Infektionskrankheiten können ähnliche Dynamiken entwickeln. Die Institutsgründung fiel mit der Pandemie zeitlich fast zusammen, wir haben dieses Projekt ohne externe Projektmittel sofort aufgesetzt. Unsere Forschung soll helfen, in Zukunft bessere Voraussagen machen und auf deren Basis noch wirksamere Schutzmaßnahmen treffen zu können.“
Biodaten sammeln am Borbecker Mühlenbach
Ein frischer Frühlingstag: Dr. rer. nat. Dennis Schmiege, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Urban Public Health (InUPH), und Prof. Dr. Susanne Moebus haben ihr Institut in der Essener City verlassen, um Daten zu sammeln. Biodaten aus dem Borbecker Mühlenbach, einem Abwasserkanal, durch den das Abwasser von rund 100.000 Haushalten rauscht.
„Die geografische Lage unseres Instituts bietet beste Voraussetzungen für das Forschungsfeld der öffentlichen Gesundheit im städtischen Raum. In der Metropole Ruhr leben rund fünf Millionen Menschen, das ist ideal für unsere Forschung“, sagt Susanne Moebus. Und wie die Zahl 100.000 eindrucksvoll zeigt, ist auch die Probenentnahme am Emschernebenfluss in Essen-Borbeck strategisch sinnvoll. Dennis Schmiege: „Wir werten die Proben in Kooperation mit dem Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin (IKIM) aus – nicht nur mit dem Fokus auf eine langfristige Überwachung von SARS-CoV-2 und seinen Varianten, sondern um weitere Potenziale für die Erforschung der komplexen Zusammenhänge urbaner Systeme mit der öffentlichen Gesundheit im städtischen Raum zu erschließen.“
Kleinräumliche Betrachtungen sind von Interesse
Olfaktorisch und visuell ist die Biodatensammlung hier, wo der Abwasserkanal vom Unterirdischen ans Tageslicht tritt, eine ziemliche Herausforderung. Dennis Schmiege: „Aber wir sind ja immer nur kurz zur Probenentnahme hier vor Ort.“ Die Arbeit des Wissenschaftler-Teams findet anschließend im klinisch reinen Institut und am Rechner statt. Bereits in seiner Dissertation an der Universität Bonn hat sich Dennis Schmiege mit dem Zusammenhang von Antibiotikaresistenzen und Umwelteinflüssen beschäftigt und Abwasser-Screenings durchgeführt. Besonders interessant seien dabei kleinräumige Betrachtungen, so der Wissenschaftler. So gibt es tendenziell eine höhere Antibiotikaresistenzbelastung in benachteiligten Wohngebieten und niedrigere Resistenzwerte in einem sozialräumlich begünstigten Gebiet. Die aus dem Abwasser gewonnenen Biomarker können Indikatoren für zahlreiche Erkrankungen sein – für Allergien, Asthma oder Diabetes zum Beispiel. Im Vergleich lassen die Daten aus unterschiedlichen Abwasserquellen somit auch auf Zusammenhänge von sozialer und gebauter Stadtstruktur auf die Gesundheit der Menschen zu.
Forschungsansätze gemeinsam mit für Mikrobiologie und Virologie
Die Universitätsmedizin Essen ist führender Standort für Mikrobiologie und Virologie. Über diese Verknüpfung wird sich das Institut für Urban Public Health in den kommenden Jahren schwerpunktmäßig mit der Erforschung von Methoden für die frühzeitige Erkennung von Infektionserkrankungen und deren Verläufen konzentrieren. Ein weiterer Schwerpunkt neben dem Data Monitoring in Kooperation mit dem Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin (IKIM) wird die Anwendung von Surveillancesystemen auf endokrin aktive Substanzen (EAS) oder endokrine Disruptoren (ED) – also Substanzen, die das körpereigene Hormonsystem stören und dadurch schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit verursachen können – konzentrieren. Susanne Moebus: „Auch hier ist das System Universitätsmedizin Essen mit seinen vielfältigen interdisziplinären Vernetzungen, wie auch der starken Endokrinologie um Kollegin Dagmar Führer-Sakel enorm hilfreich.“ Beim Abwasser-Screening strebt das Institut eine enge Kooperation mit Prof. Dr. Torsten C. Schmidt vom Zentrum für mikroskalige Umweltsysteme (ZMU) an der Universität Duisburg-Essen an.
Susanne Moebus: „Mein Wunsch als Institutsleiterin ist, über die vielfältigen Vernetzungen am Standort Essen und dem Ruhrgebiet und die fortschreitende Digitalisierung in naher Zukunft zu einer zielgerichteten auch kleinräumig aufgeschlüsselten Gesundheitsberichterstattung zu kommen.“ Es sei nicht mehr zeitgemäß, den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung nur aus Sterberaten abzuleiten. Der Stand der Forschung und die Möglichkeiten der KI in der Medizin eröffneten vielmehr bereits jetzt zahlreiche Perspektiven sowohl für eine aussagekräftige Statuserhebung als auch für eine wirkungsvolle Prävention und Gesundheitsförderung in der Stadt und auf dem Land.
Abgeschlossene Projekte
- Airflamm III
- Green Capital
- Panalytics
- Die Auswirkungen der Energie- und Ressourcenpolitik auf die Gesundheit
- URBANTIP